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Ein Blog über die Tücken der politischen Kommunikation

Staatliche vs. private Überwachung (Update)

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Heute morgen hörte ich wie immer den Deutschlandfunk und somit nacheinander Interviews mit der Verbraucherministerin Ilse Aigner und mit dem Blogger Sascha Lobo zum Thema Google Street View. Ich will gar keinen Hehl daraus machen, dass ich Saschas Argumenten sehr viel mehr zugeneigt bin als denen der Ministerin. Das bedeutet, ich meine auch dass es sich bei der Debatte um eine – wahrscheinlich absichtlich angefachte – Hysterie handelt. Die Google-Street-View-Hysterie hat einen kleinen Kern von berechtigter Besorgnis, ist aber selbst im Vergleich zu anderen Anlässen, die durchaus besorgniserregender sind, völlig außer Proportion.

Das hängt zusammen mit der Art der verwendeten Daten (Ansichten des öffentlichen Straßenraums), den Maßnahmen zum Persönlichkeitsschutz (Verpixelungen), der Tatsache dass diese Daten zum Teil bereits über andere Dienste abrufbar sind, sowie mit der Frage, wer sie sammelt.

Und das ist auch der Anlass, weshalb mir heute wieder die Tinte überquillt. Genau bei der letzten Frage, was ist eigentlich der Unterschied zwischen staatlicher und privater Datensammlung, da hat Sascha Lobo leider kläglich versagt. Ärgerlich ist das, denn an dieser Frage wird sich entscheiden, wie gut die „Community“ in den kommenden netzpolitischen Debatten aussieht.

Auf die Frage des Moderators, wie man denn gegen staatliche Überwachung sein könne, aber die durch Unternehmen harmlos finden könne, fiel Lobo nichts weiter ein, als die anderen Inhalte und die breitere Verknüpfbarkeit der Datensammlung hervorzuheben und zu betonen, dass Politiker die Debatte anheizten, um abzulenken, dass sie also unglaubwürdig seien. Entschuldigung, aber man wird nicht glaubwürdiger, wenn man andere der Unglaubwürdigkeit zeiht. Und es ist so unnötig, sich diese Blöße zu geben. Denn es macht schon einen Unterschied, wer die Daten sammelt. Und zwar aus mehren Gründen.

  1. Staatliche Stellen können zur uns zur Datenübermittlung zwingen. Unternehmen können uns nur im Rahmen von Verträgen dazu verpflichten. Und die Verträge können wir eingehen oder nicht.
  2. Unternehmen können zwar erhebliche wirtschaftliche Macht bekommen und damit auch eine Art Zwang ausüben, aber diesen Zwang kann (und muss) der Staat begrenzen, wenn das Kräfteverhältnis zu Lasten der Verbraucher oder des Wettbewerbs aus dem Gleichgewicht geraten ist.
  3. „Staat“ heißt hier übrigens sowohl die gesetzgebende Gewalt (die ja im Fall von Google bereits über neue Verbraucherschutzgesetze nachdenkt), als auch die Exekutive (Behörden) und die Rechtsprechung. Jede einzelne dieser Gewalten kann für sich handeln und handelt. Das kann sogar so weit gehen, dass Unternehmen zerschlagen werden und die wirtschaftliche Macht durch staatliche Macht damit gebrochen wird.
  4. Demgegenüber stehen dem staatlichen Datensammler „nur“ die checks and balances gegenüber, die der demokratische Rechtsstaat vorsieht. Sind sich (wie leider oft in den letzten Jahren) Parlament und Exekutive einig dass die Datensammlungen ausgeweitet werden müssen, ist die Rechtsprechung, vor allem das Bundesverfassungsgericht, die einzige Instanz (neben den Wahlen, versteht sich), die noch einschreiten kann und einschreitet.
  5. Zwar ist der Staat nach dem Informationsfreiheitsgesetz zur Transparenz verpflichtet, aber gerade im sensibelsten Bereich der Strafverfolung und Prävention entzieht er sich dieser Transparenzpflicht systematisch – ironischerweise zum Teil mit Verweis auf den Datenschutz. Ob es sich wirklich in der Praxis um Datenschutz oder um Selbstschutz der Behörden handelt könnte nur beurteilen, wer Einsicht in die Vorgänge hat.
  6. Das wichtigste aber ist: Staatliche Datensammlung ist deswegen von einer völlig anderen Qualität, weil der Staat das Gewaltmonopol hat. Das heißt, auf der Basis von dem was die Behörden von mir wissen, können sie in meine Freiheitsrechte eingreifen, Steuern erheben, und mir mannigfaltige Pflichten auferlegen.
  7. Im Strafrecht gilt deshalb das Recht des Beschuldigten, die Aussage zu verweigern. Dieses Recht wird ausgehöhlt durch immer weitgehendere Zwangsoffenbarungen wie zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung. Ich mag über meine sozialen Kontakte schweigen wollen, dem Staat sind sie aufgrund meiner Telefon- und Internetverbindungsdaten schon bekannt.
  8. Unternehmensdatensammlungen werden hier aber wieder zum Problem: Der Staat verpflichtet die Unternehmen, solche Daten seiner Kunden zu mannigfaltigen Zwecken herauszurücken. Und während man noch die Google Street View Sau durchs Dorf treibt, arbeitet man auf EU-Ebene daran, Google und Facebook in die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung einzubeziehen.

Das ist der eigentliche Skandal. Das hätte Sascha Lobo sagen sollen.

Update

Sascha Lobo hat mich angemailt und mir mitgeteilt, dass er durchaus auf den Unterschied zwischen staatlicher und privater Datensammelei hingewiesen hat. Er sagte:

„Das ist ein unzulässiger Vergleich – aus dem einfachen Grund, weil
Unternehmen und Staat völlig unterschiedliche Aufgaben und
Aufgabenkomplexe haben. Ich würde es genauso wenig gut finden, wenn
zum Beispiel eine Art staatliches Facebook betrieben würde, wo man
seine Daten eingibt, denn das haben wir in der Vergangenheit immer
wieder erlebt, dass der Staat noch über ganz besondere Bündelungs- und
damit auch Missbrauchskompetenzen verfügen könnte.“

Damit hat er recht, aber ich meine die Bündelungsmöglichkeit kann auch bei Unternehmen ganz erheblich sein, insbesondere bei großen Anbietern mit vielen unterschiedlichen Services. Der Punkt ist die Sanktionsmöglichkeit und die Möglichkeit, Regeln zu setzen. Die hat allein der Staat. Das macht seinen Umgang mit Daten eben besonders.

Das bringt mich aber zu einem Punkt, an dem meine eigene Argumentation auch auf Unternehmen anwendbar ist: Denken wir ans Arbeitsrecht. Als Arbeitgeber haben Unternehmen auch Sanktionsmöglichkeiten. In der Eigenschaft als Arbeitgeber muss die Datensammelei denn auch anders bewertet werden als die zu Marketingzwecken. Aber auch hier setzt der Staat die Regeln, kann also sagen: Das und das musst du löschen bzw. es ist bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten nicht verwendbar.

Nehmen wir ein anderes Beispiel: Berufsunfähigkeitsversicherungen. Viele Menschen bekommen keine oder nur eine zu inakzeptablen Bedingungen. Man kann sagen, das liegt daran dass der Versicherer Daten erheben darf, über den Beruf, das Alter und den Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers. Dann ist die Datensammlung das Problem. Oder man kann die Konditionen bestimmen, die jede Versicherung erfüllen muss, die so etwas anbietet. Dann sind die Daten nicht das Problem. Die Lösung in dem Fall wäre, dass jeder das Recht bekommt, bei einem Anbieter zu den jeweils gleichen Konditionen eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen. Dann haben die Daten keine Bedeutung mehr (und werden schon deshalb wohl nicht erhoben).

Was meint ihr? Ist das ein Ansatz?

Ich würde mich freuen, wenn über dieses Thema eine lebhafte Diskussion in Gang käme.

Written by Maritta Strasser

18. August 2010 um 10:02 am

2 Antworten

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  1. Vernachlässigen sollte man in diesen Sphären den Lobbyismus nicht! Und es gibt ein Davor und Danach – wenn also Gesichter etc. verpixelt erscheinen, dann gibts auch Klarbilder. Diese Bilder sind im background durchaus zu allem möglichen verwendbar. Die Welt ist kein friedlicher Ort, viele Ziele und die Strategien, diese zu erreichen, liegen im Dunkeln. Fakt ist, dass sich mit Wissen und Information immer eine Menge anfangen lässt, wovon sich Otto Normal keine Vorstellung macht. Längst hat ein schleichender Prozess hin zur Diktatur, oder zumindest kontrollintensiver Gängelung, Ausmaße erreicht, die noch vor 30 Jahren wie aus der Feder Kafkas erschienen wären. Und das ist das Problem: das Schleichende, Unmerkliche, Heimtückische. Plötzlich wird etwas merklich als großer Schritt, meist als „Fortschritt“ gepriesen, dem viele kleine Schrittchen voraus gegangen sind. Wie in der Arktis riesige Eisberge abbrechen und losgelöst von der Landmasse forttreiben, so treibt bei uns auch einiges fort, gelöst vom festen Grund der Demokratie, des Rechtsstaats, des Sozialstaats, von dem, was wir als Festigkeit brauchen, um selber nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Das Loch im Gesetz ist wie das Loch im Käse, es macht ihn aus, selbst wenn er schon gegessen ist.

    monologe

    18. August 2010 at 10:23 am

    • Freilich, Dein Missbrauchsszenario bei den unverpixelten Rohdaten betrifft aber auch den Zugriff von staatlicher Seite, oder?
      Richtig ist, dass Unternehmen so mächtig werden, wie die Politik sie werden lässt. Und da war der Lobbyismus in den vergangenen Jahren durchaus erfolgreich, das streite ich nicht ab.
      Aber das ist prinzipiell auch wieder änderbar. Und da liegt m.E. der Ansatzpunkt, nicht bei Google Street View.

      Maritta Strasser

      18. August 2010 at 10:31 am


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