Deutsch-Propaganda, Propaganda-Deutsch
Liebe Leserinnen und Leser, ich möchte euch auf ein sehr interessantes Wörterbuchprojekt hinweisen. Mathias Priebe möchte das neue Standardwerk der Sprachhygiene mit Hilfe der Internet-User zusammenstellen. Auf dass Unwörter wie „alternativlos“ und deren viele Brüder und Schwestern entlarvt und in ihrer wahren Bedeutung aufgedeckt werden. Mehr dazu hier.
Eine Idee für einen Eintrag hatte schon vor einigen Tagen. Findet sich unten in den Kommentaren. Aus aktuellem Anlass möchte ich einen weiteren Begriff als Propaganda markieren: erdbebensicher.
Erdbebensicher gibt es nicht. Die Richterskala ist nach oben offen. Was ein Bauwerk aushält, ist jeweils das, was man als stärkstes mögliches Beben so annimmt. Der jetzt in Japan havarierte Reaktor Fukushima 1 war ausgelegt für Erdbeben bis zu einer Stärke von 8,4. Erdbebensicher war das erwiesenermaßen nicht, aber es wurde so bezeichnet. Ein klarer Fall von Propaganda.
Vom unverdienten Glück, nicht beschämt worden zu sein
Im Netz ist viel von Judith Holofernes und ihrer fulminant guten Absage an die BILD-Zeitung zu lesen. Zu recht. Selten habe ich in weniger Worten treffenderes über diese Zeitung gelesen:
Die BILD -Zeitung ist kein augenzwinkernd zu betrachtendes Trash-Kulturgut und kein harmloses “Guilty Pleasure” für wohlfrisierte Aufstreber, keine witzige soziale Referenz und kein Lifestyle-Zitat. Und schon gar nicht ist die Bild -Zeitung das, als was ihr sie verkaufen wollt: Hassgeliebtes, aber weitestgehend harmloses Inventar eines eigentlich viel schlaueren Deutschlands.
Die Bildzeitung ist ein gefährliches politisches Instrument — nicht nur ein stark vergrößerndes Fernrohr in den Abgrund, sondern ein bösartiges Wesen, das Deutschland nicht beschreibt, sondern macht. Mit einer Agenda.
Das ist richtig. Und es musste gesagt werden. Von jemandem, auf den die jungen Leute hören. Danke!
Aber Judith Holofernes teilt auch gegen die Agentur aus, Jung von Matt, die diese Anfrage an sie im Auftrag der BILD gerichtet hatte. Deren Mitarbeiter wüssten genau was sie tun, aber sie kümmerten sich nicht darum. Sehenden Auges würden sie das böse Spiel der BILD mitspielen.
Das erinnert mich an die Zeit, als ich in einer Agentur gearbeitet habe. Nicht Jung von Matt, aber eine andere, eine von den Großen der Branche. Und es lässt mich gruseln. Was ich damals machen musste, beinhaltete zum Beispiel die Verharmlosung der Atomkraft, gegen die eigene Überzeugung. Es war ein beschissenes Gefühl, ich beobachtete mich dabei, wie ich zynisch wurde. Ein zu hoher Preis für das Geld, und ein wichtiger Grund, weshalb ich die Agentur wieder verlassen habe. Obwohl Chef und Kollegen prima waren. Aber die Arbeit war es nicht.
Jetzt stelle ich mir vor, was wäre denn gewesen, wenn meine Agentur statt Jung von Matt den Auftrag einer Kampagne für die BILD gehabt hätte. Wenn ich diesen Brief an Judith Holofernes ausgeheckt, verfasst und abgesendet hätte. Wie furchtbar müsste ich mich jetzt schämen, wie bloßgestellt wäre ich! Und völlig zu recht.
Es ist reiner Zufall, dass diese Peinlichkeit nicht mir widerfahren ist, sondern einem unglücklichen anderen PR-Mäuschen oder -Jungelchen. Unverdientes Glück.
Es gibt Jobs, die sind ihr Geld nicht wert.
Es geht nicht um Wikileaks, es geht um Informationsfreiheit
Und wenn es um Informationsfreiheit geht, dann geht es um Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Denn staatliches Handeln ist durch die Regierten und die Gerichtsbarkeit nur kontrollierbar, wenn alle für die Überprüfung notwendigen Informationen frei zugänglich sind. Und welche Informationen notwendig oder auch nur hilfreich sind, darf nicht die staatliche Stelle entscheiden. Ein Rechtsstaat, in dem staatliche Stellen unkontrolliert entscheiden können, welche Informationen unter der Decke bleiben, läuft (jedenfalls was die Kontrolle staatlichen Handelns betrifft) leer. Darum geht es. Das müssen wir verteidigen.
Die Depeschen des US-Außenministeriums sind weit weniger brisant als der Versuch, durch Bestrafung der an ihrer Veröffentlichung Beteiligten ein Exempel zu statuieren. Was wir im Iran und in China kritisieren gilt auch in westlichen Demokratien: es darf keine Unterdrückung der Öffentlichkeit und des freien Informationsaustausches geben. Statt über den besseren Schutz von Regierungsgeheimnissen nachzudenken sollte besser endlch Verständnis für die Tatsache Einzug halten, dass das Zeitalter der Vertraulichkeit zu Ende gehen muss. Wir brauchen Regierungen, die unter den Bedingung der Transparenz ihres Handelns arbeiten können und bereit sind zu arbeiten.
Nach der Petition von avaaz.org und der von campact hat heute auch der Tagesspiegel zusammen mit anderen Zeitungen und dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) einen Appell veröffentlicht und zur Unterstützung aufgerufen. Dummerweise muss man sich dort erst für das Forum registrieren, um den Appell unterstützen zu können. Das Tagesspiegel-Forum zeichnet sich leider durch krasse Benutzerunfreundlichkeit aus. Man muss sich anmelden und dann auch noch einen Freischaltcode eingeben, der in meinem Fall nicht funktioniert hat. Nachdem ich wegen vergebener Nicknamen und wegen Vertippern sieben mal das dämliche Captcha gelöst hatte, hab ich es aufgegeben. Lieber Tagesspiegel, muss das wirklich sein?
Update
Ich sehe gerade, dass die taz die Petition in zum Unterschreiben anbietet. Hier klappt das auch.
Warum Schäuble in Nöten ist
Was mag in Finanzminister Wolfgang Schäuble dieser Tage vorgehen? Die Bundeskanzlerin selbst spricht unter vier Augen mit ihm, weil sein Pressesprecher nach einer beispiellosen öffentlichen Demütigung und fünf Tagen vergeblichen Wartens auf eine Entschuldigung seitens seines Chefs hingeworfen hat. Oder besser: Weil die Geschichte zu einem Medienthema geworden ist und vorerst ein Medienthema bleibt.
Möglich, dass er das verheerende Echo auf sein Verhalten vor laufender Kamera als Werk von Intrigen gegen sich deutet. Das wäre eine fatale Fehleinschätzung.
Was die Öffentlichkeit an dem Verhalten von Schäuble so irritiert meines Erachtens weniger die Tatsache, dass der Minister seine Emotionen offensichtlich nicht im Griff hat. Es ist die Haltung selbst, die er durchblicken lässt, eine Haltung die sich so zusammenfassen lässt: Ich bin genial und der Rest sind Idioten. Die Intuition sagt dem Publikum: Wer so über seine Vertrauten denkt, denkt über Fremde nicht besser.
Es drängt sich der Eindruck einer arroganten Haltung auf. Arroganz bedeutet Blindheit für eigene Fehler und Wissenslücken. Deshalb ist Arroganz bei Menschen, die Verantwortung tragen eine Gefahr. Das ist der eigentliche Grund, warum dieser Vorfall Zweifel an der Eignung von Schäuble für sein Amt aufkommen lässt.
Die Frage nach seiner Gesundheit, und vor allem sein disziplinierter und offener Umgang damit, hätte ihn eher gestärkt als geschwächt. So wie Pabst Johannes Paul I in seinem langen öffentlichen Sterbeprozess an Autorität und Ausstrahlung gewann, statt sie zu verlieren.
Zum Schluss will ich noch ein Bonmot der „Welt“ von gestern präsentieren. Schäuble habe eine „beeindruckende, – für manche vielleicht beängstigende – politische Kraft“, so feiert man ihn dort, um ihm dann „einen manchmal umwölkten, aber dennoch gewaltigen Willen zum Positiven“ zuzubilligen. Bei allem Respekt: Umwölkt ist hier der Kommentator, solchen Unfug hat man wirklich selten gelesen!
Open Government? Hilfe!
Das Internet und Gesellschaft Collaboratory hatte gestern zu einem hochinterssanten Workshop geladen. Thema war „offene Staatskunst – bessere Politik durch ‚Open Government‘?“ und ich durfte dabei sein. Es war seit langem die beste Veranstaltung dieser Art, die ich besucht habe, viel Intelligenz unter einem Dach, und das Phänomen der Schwätzer fehlte praktisch völlig. Es war einfach ein konstruktiver, sehr gut moderierter Workshop zu einem spannenden Thema, mit neugierigen und offenen Menschen aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen, übrigens ermöglicht von Google.
Einer der drei Schwerpunkte war Open Government, also eine neue, offene Staatskunst die sich der neuen Medien zur Schaffung von Transparenz und Teilhabe bedient. Dazu gab es Input aus der Politikwissenschaft von Prof. Philipp Müller*, dessen Kernthese darauf hinauslief, dass Staatskunst heute offen werden muss, um erfolgreich zu sein. Entweder die staatlichen Akteure bauen neue Instrumente der Information und Beteiligung auf der Basis der neuen technischen Möglichkeiten (und kannibalisieren damit ihre hergebrachten Methoden zur Schaffung von Legitimität und Akzeptanz) oder andere nehmen dem Staat diese Instrumente aus der Hand und schaffen Government 2.0 als „Untergrund-Aktion“. Beispiele dafür sind Wikileaks, Abgeordnetenwatch, u.a.
Die wenigen anwesenden Teilnehmer aus der Politik auf Bundesebene reagierten zurückhaltend auf die Idee des Open Government (um es mal vorsichtig auszudrücken). Die Angst vor Kontrollverlust und mehr noch die Angst der Fachebene, das Arbeitspensum nicht mehr zu bewältigen wenn noch mehr Input von den Regierten kommt, ist übermächtig. Und das obwohl die Gesprächspartner durchaus große Offenheit für solche neuen Ideen zeigten.
In dem Workshop habe ich mir alle Mühe gegeben, für mehr Open Government zu werben, allerdings mit wenig Erfolg. So habe ich vorgeschlagen, dass man die Mühe der Abstimmung zwischen widerstreitenden Interessen und die Mühe der Filterung und Bewertung ja ebenfalls zum Teil Crowdsourcen könnte. Konkret im Gesetzgebungsprozess könnte schon die Initiative, die heute ja meist von der Person eines einzelnen Ministers bzw. eine Ministerin ausgeht, durch ein Vorschlagswesen ergänzt werden. Statt den ersten Diskussionsentwurf (das ist ein Gesetzentwurf vor der Beschlussfassung im Kabinett) in einem intransparenten Verfahren nur an andere Ressorts und an ausgewählte Lobbyisten zu verschicken könnte er auch veröffentlicht werden, frei zur Stellungnahme durch jede und jeden. Und die Stellungnahmen und Änderungswünsche wären ebenfalls für alle offen. Ja man könnte sogar eine Texthistorie offenlegen, welche Änderungen an einem Vorschlag wurden gemacht, und auf wessen Input gehen diese zurück?
Nein, bis wir so weit sind, wird es wohl noch lange dauern. Bei diesen Vorschlägen leuchtete fast etwas Angst in manchen Augen auf. Auch die Aussicht darauf, einen Teil des lästigen Lobbydrucks loszuwerden, indem man die Interessengruppen ihren Streit untereinander austragen lässt bzw. ihnen die Mühe auferlegt, sich vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen, konnte da nicht überzeugen. Zu schwer wiegt noch die Furcht vor dem Kontrollverlust. Was eigentlich erstaunlich ist, denn wir erleben ja seit einiger Zeit, wie vor unseren Augen politische Macht mehr und mehr erodiert. Gibt es den Entscheidungsspielraum wirklich noch, den die Vertreter von Bundesministerien und Bundestag so vehement verteidigen?
Interessant ist, dass aus der Perspektive der Kommunen die Abwägung immer öfter anders auszugehen scheint. Sie sind die Vorreiter, mit Bürgerhaushalten zum Beispiel geben sie konkrete Entscheidungen in die Hand der Betroffenen vor Ort. Durch den lokalen Bezug allein sehen sie schon eine höhere Qualität der Beteiligung und eine engere Bindung an den Prozess und sein Ergebnis. Aber ich finde, das kann das letzte Wort nicht sein. Auch auf Bundes- und supranationaler Ebene muss Offenheit Einzug halten. Anders ist gutes Regieren im 21. Jahrhundert nicht mehr möglich.
* Wir hatten bei dem Workshop vereinbart, dass über die Diskussion ohne Namensnennung berichtet werden darf, Philipp Müller war aber ausdrücklich mit der Nennung seines Namens einverstanden, deshalb ist er hier genannt. Eine Zusammenfassung des Workshops (Videos und Papers) soll aber demnächst bei politik-digital veröffentlicht werden.
Das Hornberger Schießen
Der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag ist bereits am 1. Januar 2009 in Kraft getreten. Mit lautem Getöse haben Presseverlage und private Fernsehsender durchgesetzt, dass die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Inhalte, die Sie auf ihren Webseiten veröffentlicht haben, nun zu großen Teilen unzugänglich machen müssen. Der Fachterminus heißt depublizieren, und das bedeutet, dass die Filme, Rezepte, Transkripte von Interviews, etc. nicht gelöscht, sondern für Internetnutzer unzugänglich gemacht werden. Riesige Archive von mit Gebührengeldern erstellten Inhalten verschwinden aus dem Zugriff der Nutzer, weil eine bestimmte Lobby es so wollte.
Als die Debatte um den Rundfunkstaatsvertrag lief, hat sich kaum jemand dafür interessiert. Jetzt aber fällt den Gebührenzahlern auf, dass etwas, was sie als ihr Eigentum empfinden (denn bezahlt haben sie es), ihnen genommen wird. Und dass dieses geschehen ist, um der privaten Konkurrenz der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender einen Vorteil zu verschaffen, macht es für sie nicht besser. Und freut sich wenigstens die Lobby, die diesen Unsinn durchgesetzt hat? Nein, tut sie nicht. Den von den Privaten durchgesetzte „Dreistufentest“ nennt ein Vertreter von RTL bemerkenswert ehrlich ein „relativ sinnloses Verfahren„.
Genauso sinnlos ist das Depublizieren. Denn nun geschieht, was von Anfang an zu erwarten war: Die depublizierten Sachen werden durch ehrenamtliches Engagement von Internetnutzern wieder zugänglich gemacht. Angefangen wird mit tagesschau.de, aber das soll erst der Anfang sein. Gut möglich, dass am Ende ein Archiv des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entsteht, welches den alten Angeboten aus der Zeit vor dem 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag in nichts nachsteht. Mehr und Zugang zu den gesicherten Inhalten von tagesschau.de gibt es bei www. depub.org.
Und wir Steuer- und Gebührenzahler freuen uns wieder Mal über einen klassischen Fall des Hornberger Schießens. Wie viel Schweiß und Geld, wie viele Stunden Arbeitszeit und wie viel vermeidbaren Ärger mag dieser Versuch gekostet haben, kostenfreie Inhalte als unliebsame Konkurrenz des Paid Content aus dem Internet zu drängen? Lieber Axel Springer Verlag, liebe Privatsender, merkt Euch eins: das wird Euch erst an dem Tag gelingen, an dem Wikipedia die Artikel ausgehen. Und für Viele ist es obendrein ein Grund mehr, von Euch bestimmt nichts zu kaufen.