Sprachfähig

Ein Blog über die Tücken der politischen Kommunikation

Deutsch-Propaganda, Propaganda-Deutsch

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Liebe Leserinnen und Leser, ich möchte euch auf ein sehr interessantes Wörterbuchprojekt hinweisen. Mathias Priebe möchte das neue Standardwerk der Sprachhygiene mit Hilfe der Internet-User zusammenstellen. Auf dass Unwörter wie „alternativlos“ und deren viele Brüder und Schwestern entlarvt und in ihrer wahren Bedeutung aufgedeckt werden. Mehr dazu hier.

Eine Idee für einen Eintrag hatte schon vor einigen Tagen. Findet sich unten in den Kommentaren. Aus aktuellem Anlass möchte ich einen weiteren Begriff als Propaganda markieren: erdbebensicher.

Erdbebensicher gibt es nicht. Die Richterskala ist nach oben offen. Was ein Bauwerk aushält, ist jeweils das, was man als stärkstes mögliches Beben so annimmt. Der jetzt in Japan havarierte Reaktor Fukushima 1 war ausgelegt für Erdbeben bis zu einer Stärke von 8,4. Erdbebensicher war das erwiesenermaßen nicht, aber es wurde so bezeichnet. Ein klarer Fall von Propaganda.

Written by Maritta Strasser

12. März 2011 at 5:44 pm

Veröffentlicht in Grundlagen

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Vom unverdienten Glück, nicht beschämt worden zu sein

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Im Netz ist viel von Judith Holofernes und ihrer fulminant guten Absage an die BILD-Zeitung zu lesen. Zu recht. Selten habe ich in weniger Worten treffenderes über diese Zeitung gelesen:

Die BILD -​Zeitung ist kein augenzwinkernd zu betrachtendes Trash-​Kulturgut und kein harmloses “Guilty Pleasure” für wohlfrisierte Aufstreber, keine witzige soziale Referenz und kein Lifestyle-​Zitat. Und schon gar nicht ist die Bild -​Zeitung das, als was ihr sie verkaufen wollt: Hassgeliebtes, aber weitestgehend harmloses Inventar eines eigentlich viel schlaueren Deutschlands.

Die Bildzeitung ist ein gefährliches politisches Instrument — nicht nur ein stark vergrößerndes Fernrohr in den Abgrund, sondern ein bösartiges Wesen, das Deutschland nicht beschreibt, sondern macht. Mit einer Agenda.

Das ist richtig. Und es musste gesagt werden. Von jemandem, auf den die jungen Leute hören. Danke!

Aber Judith Holofernes teilt auch gegen die Agentur aus, Jung von Matt, die diese Anfrage an sie im Auftrag der BILD gerichtet hatte. Deren Mitarbeiter wüssten genau was sie tun, aber sie kümmerten sich nicht darum. Sehenden Auges würden sie das böse Spiel der BILD mitspielen.

Das erinnert mich an die Zeit, als ich in einer Agentur gearbeitet habe. Nicht Jung von Matt, aber eine andere, eine von den Großen der Branche. Und es lässt mich gruseln. Was ich damals machen musste, beinhaltete zum Beispiel die Verharmlosung der Atomkraft, gegen die eigene Überzeugung. Es war ein beschissenes Gefühl, ich beobachtete mich dabei, wie ich zynisch wurde. Ein zu hoher Preis für das Geld, und ein wichtiger Grund, weshalb ich die Agentur wieder verlassen habe. Obwohl Chef und Kollegen prima waren. Aber die Arbeit war es nicht.

Jetzt stelle ich mir vor, was wäre denn gewesen, wenn meine Agentur statt Jung von Matt den Auftrag einer Kampagne für die BILD gehabt hätte. Wenn ich diesen Brief an Judith Holofernes ausgeheckt, verfasst und abgesendet hätte. Wie furchtbar müsste ich mich jetzt schämen, wie bloßgestellt wäre ich! Und völlig zu recht.

Es ist reiner Zufall, dass diese Peinlichkeit nicht mir widerfahren ist, sondern einem unglücklichen anderen PR-Mäuschen oder -Jungelchen. Unverdientes Glück.

Es gibt Jobs, die sind ihr Geld nicht wert.

Written by Maritta Strasser

26. Februar 2011 at 2:46 pm

Es geht nicht um Wikileaks, es geht um Informationsfreiheit

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Und wenn es um Informationsfreiheit geht, dann geht es um Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Denn staatliches Handeln ist durch die Regierten und die Gerichtsbarkeit nur kontrollierbar, wenn alle für die Überprüfung notwendigen Informationen frei zugänglich sind. Und welche Informationen notwendig oder auch nur hilfreich sind, darf nicht die staatliche Stelle entscheiden. Ein Rechtsstaat, in dem staatliche Stellen unkontrolliert entscheiden können, welche Informationen unter der Decke bleiben, läuft (jedenfalls was die Kontrolle staatlichen Handelns betrifft) leer. Darum geht es. Das müssen wir verteidigen.

Die Depeschen des US-Außenministeriums sind weit weniger brisant als der Versuch, durch Bestrafung der an ihrer Veröffentlichung Beteiligten ein Exempel zu statuieren. Was wir im Iran und in China kritisieren gilt auch in westlichen Demokratien: es darf keine Unterdrückung der Öffentlichkeit und des freien Informationsaustausches geben. Statt über den besseren Schutz von Regierungsgeheimnissen nachzudenken sollte besser endlch Verständnis für die Tatsache Einzug halten, dass das Zeitalter der Vertraulichkeit zu Ende gehen muss. Wir brauchen Regierungen, die unter den Bedingung der Transparenz ihres Handelns arbeiten können und bereit sind zu arbeiten.

Nach der Petition von avaaz.org und der von campact hat heute auch der Tagesspiegel zusammen mit anderen Zeitungen und dem  European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) einen Appell veröffentlicht und zur Unterstützung aufgerufen. Dummerweise muss man sich dort erst für das Forum registrieren, um den Appell unterstützen zu können. Das Tagesspiegel-Forum zeichnet sich leider durch krasse Benutzerunfreundlichkeit aus. Man muss sich anmelden und dann auch noch einen Freischaltcode eingeben, der in meinem Fall nicht funktioniert hat. Nachdem ich wegen vergebener Nicknamen und wegen Vertippern sieben mal das dämliche Captcha gelöst hatte, hab ich es aufgegeben. Lieber Tagesspiegel, muss das wirklich sein?

Update

Ich sehe gerade, dass die taz die Petition in zum Unterschreiben anbietet. Hier klappt das auch.

Written by Maritta Strasser

16. Dezember 2010 at 11:06 am

Bericht von der Open Government Session auf dem #spdnetz Barcamp

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Ausgehend vom Menschenbild der Aufklärung, welches die Menschen prinzipiell als fähig erachtet, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln und über ihr Leben zu bestimmen, und  angesichts der Tatsache, dass die Kosten für Kommunikation, Information und Teilhabe durch die neuen Medien dramatisch gesunken sind muss sich heute eigentlich die Idee des Open Government nicht mehr groß rechtfertigen. Unmittelbar versteht jede und jeder: wenn es machbar ist, dass ich mitrede, dann muss das auch möglich sein.

Das Poster unserer Session / Foto von @jensbest

Unter Rechtfertigungsdruck steht dagegen  jeder Versuch, das Regieren und Verwaltungshandeln trotz der neuen Möglichkeiten in hergebrachter Weise top-down, dezisionistisch, beteiligungsarm und intransparent zu gestalten. Stuttgart 21 und die Aufarbeitung der Love Parade in Duisburg sind zwei Beispiele die zeigen, wie dieses Verwaltungshandeln heute seine Legitimität eingebüßt hat.

Stufe 1: Transparenz

Open Government hat mehrere Stufen. Auf der niedrigsten Stufe werden lediglich Entscheidungen verkündet und Verlautbarungen gemacht. Transparenz hingegen bedeutet, Entscheidungsprozesse und Gründe offen zu legen. Es bedeutet auch, anstehende Entscheidungen zu einem Zeitpunkt bekannt zu machen, zu dem von Betroffenen noch Einfluss genommen werden kann.

Transparenz wäre auch ein Mittel, den ausufernden Einfluss von Lobbygruppen dadurch zu begrenzen, dass man ihn kenntlich macht. Ein Vorschlag in der Session war, die Quelle von Änderungen an Gesetzestexten öffentlich zu machen, so wie z.B. bei Wikipedia in der Versionsverfolgung nachvollziehbar ist, wer was an einem Antrag verändert hat.

Transparenz über Entscheidungsprozesse bedeutet allerdings auch einen Konflikt mit dem Bild, das Politiker und Politikerinnen von sich in der Öffentlichkeit vermitteln (müssen). Es wird oftmals nicht honoriert, wenn die Öffentlichkeit wahrnimmt, wie ein Entscheider noch schwankt, Dinge noch nicht weiß, sich erst eine Meinung bilden muss. Wird sich das ändern, wenn die Politik insgesamt transparenter wird? Wird die Heuchelei des sich omipotent gebenden Politikers aussterben?

Für Transparenz benötigt werden offene Daten, bei Vermeidung von Medienbrüchen. Die Verwaltungen können viel dabei gewinnen: Wahrscheinlich werden Freiwillige ihre Daten für sie aufbereiten und sie in einer Weise nutzbar machen, die den Verwaltungen Erkenntnisse ermöglichen, die sie selbst nie daraus hätten gewinnen können.

Stufe 2: Abstimmung vorgegebener Alternativen

Was sagen die Vertreter von Verwaltungen, um ihr Beharren auf den hergebrachten Entscheidungsprozessen zu rechtfertigen? Als erstes wird stets das Argument genannt, dass die personellen Ressourcen fehlen, um den vielfältig eintreffenden Bürgerwillen auszuwerten und zu beantworten. Aber muss dieses Argument stechen? Nicht nur die Piraten (die sich an der Session sehr engagiert beteiligten) haben Tools entwickelt, um Ideen und Wünsche durch die Leute (die Crowd) selbst zu filtern und zu priorisieren, so dass der auf eine Administration einprasselnde Bürgerwillen nicht unbedingt mehr personelle Ressourcen benötigen muss als hergebrachte Verfahren der Recherche nach Handlungsbedarf und Interessenlagen. Was nicht vorab genügend Unterstützer hat, wird nicht prioritär behandelt.

Das wichtigere Motiv der Ablehnung ist die Angst vor Kontrollverlust oder auch die (begründete) Furcht davor, in der eigenen Entscheidungsfreiheit beschnitten zu werden. Hierarchien verlieren in beteiligungsoffenen Strukturen ihre Bedeutung, das Personal an der Spitze wird vom Entscheider über Maßnahmen zum Moderator von Prozessen. Allerdings ist die Frage, ob seine Entscheidungsfreiheit heute nicht ohnehin schon teilweise illusionär ist, wie das Beispiel des massiven Widerstands bei „old school“ gemanagten Großprojekten wie Stuttgart 21 zeigt.

Eine etwas ernst zu nehmendere Frage ist allerdings die nach der Breite der Beteiligung. Werden marginalisierte Gruppen, bildungsferne allzumal, hinreichend eingebunden? Das Beispiel der Abstimmung in Hamburg über das neue Schulgesetz zeigt, dass dort gerade die Gruppen, denen (bzw. deren Kindern) das Gesetz hätte nützen sollen, sich nur unzureichend an der Abstimmung beteiligten. Diejenigen, die eine gewisse Exklusivität und einen Vorteil ihres eigenen Nachwuchses gegen die möglichen Bildungsaufsteiger verteidigen wollten hatten deshalb letztlich die Oberhand. Abstimmungen sind für populistische Stimmungsmache instrumentalisierbar, und Mehrheiten können Politik zu Lasten von Minderheiten machen, wie das Beispiel der jüngsten fremdenfeindlichen Abstimmungen in der Schweiz zeigt. Eine Beteiligungsdemokratie muss deshalb (genauso wie die repräsentative Demokratie übrigens) immer das Korrektiv der unabhängigen Überprüfung an den Verfassungsmaßstäben (d.h. Grundgesetz und europäische Grundrechtecharta) haben. (Dazu gehört auch, dass die Gerichte zeitnah Recht sprechen, woran es in Deutschland oftmals hapert).

Stufe 3: Initiativrecht

Warum sollte die Kreativität in der Politik denjenigen vorbehalten bleiben, die als Repräsentanten gewählt wurden. Tatsächlich ist es ja nicht so, dass nur Abgeordnete und Verwaltungen Regeln und Gesetze entwerfen. Das tun gesellschaftliche Gruppen auch, nur bisher in einem intransparenten Hinterzimmer-Prozess. Was spricht gegen Initiativrecht für Jedermann?

Written by Maritta Strasser

11. Dezember 2010 at 7:51 pm

Veröffentlicht in Demokratie, Netzpolitik

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Warum Schäuble in Nöten ist

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Was mag in Finanzminister Wolfgang Schäuble dieser Tage vorgehen? Die Bundeskanzlerin selbst spricht unter vier Augen mit ihm, weil sein Pressesprecher nach einer beispiellosen öffentlichen Demütigung und fünf Tagen vergeblichen Wartens auf eine Entschuldigung seitens seines Chefs hingeworfen hat. Oder besser: Weil die Geschichte zu einem Medienthema geworden ist und vorerst ein Medienthema bleibt.

Möglich, dass er das verheerende Echo auf sein Verhalten vor laufender Kamera als Werk von Intrigen gegen sich deutet. Das wäre eine fatale Fehleinschätzung.

Was die Öffentlichkeit an dem Verhalten von Schäuble so irritiert meines Erachtens weniger die Tatsache, dass der Minister seine Emotionen offensichtlich nicht im Griff hat. Es ist die Haltung selbst, die er durchblicken lässt, eine Haltung die sich so zusammenfassen lässt: Ich bin genial und der Rest sind Idioten. Die Intuition sagt dem Publikum: Wer so über seine Vertrauten denkt, denkt über Fremde nicht besser.

Es drängt sich der Eindruck einer arroganten Haltung auf. Arroganz bedeutet Blindheit für eigene Fehler und Wissenslücken. Deshalb ist Arroganz bei Menschen, die Verantwortung tragen eine Gefahr. Das ist der eigentliche Grund, warum dieser Vorfall Zweifel an der Eignung von Schäuble für sein Amt aufkommen lässt.

Die Frage nach seiner Gesundheit, und vor allem sein disziplinierter und offener Umgang damit, hätte ihn eher gestärkt als geschwächt. So wie Pabst Johannes Paul I in seinem langen öffentlichen Sterbeprozess an Autorität und Ausstrahlung gewann, statt sie zu verlieren.

Zum Schluss will ich noch ein Bonmot der „Welt“ von gestern präsentieren. Schäuble habe eine „beeindruckende, – für manche vielleicht beängstigende – politische Kraft“, so feiert man ihn dort, um ihm dann „einen manchmal umwölkten, aber dennoch gewaltigen Willen zum Positiven“ zuzubilligen. Bei allem Respekt: Umwölkt ist hier der Kommentator, solchen Unfug hat man wirklich selten gelesen!

Written by Maritta Strasser

11. November 2010 at 10:45 am

Open Government zieht Kreise

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Das Radio 1 Medienmagazin hat die Diskussion des Google Collaborartory über Open Government aufgegriffen und darüber berichtet. Unter anderem habe auch ich meine zwei Cents dazu beigesteuert, sehr interessant und hier nachzuhören.

Die Idee des Open Government scheint einen Nerv zu treffen: 71% der Bundesbürger möchten nach einer Umfrage von Infratest dimap, durchgeführt im Auftrag von Google, in staatliche Entscheidungsprozesse stärker einbezogen zu werden. 69% der Befragten würden sich an einem lokalen Angebot per Internet beteiligen.

Wie sieht dagegen die Realität aus? Auf der einen Seite der Bilanz stehen Leuchtturm-Projekte wie Maerker Brandenburg und eine wachsende Zahl von Bürgerhaushalten. Vor allem auf kommunaler Ebene sehen die Verwaltungen offenbar zunehmend den Nutzen der Bürgerbeteiligung. Dieser Nutzen besteht in Informationsgewinnung und vor allem in der Schaffung einer besseren Legitimationsbasis, gerade auch bei Entscheidungen über die Verteilung knapper Ressourcen. Auf der anderen Seite stehen merkwürdig  abehoben wirkende Projekte wie der „Dialog Internet“ des Bundesfamilienministeriums. Hier fragt man sich, in welches konkrete Ergebnis die Abfrage von Einschätzungen eigentlich münden soll, und weil das so ist beschleicht vielleicht nicht nur mich der Verdacht, dass hier vor allem ein Dialog aufgeführt werden soll, um das Image der Ministerin zu verbessern. Diese Art der Schaufensterpolitik wäre gerade nicht das, was unter Open Government zu verstehen ist.

Es führt nichts an der harten Einsicht vorbei, dass die Bereitschaft zur Transparenz und zur Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Entscheidungen die eigenen Handlungsmöglichkeiten als PolitikerIn beschneidet. Im Umkehrschluss gilt, dass Beteiligungsplattformen, die einer Ministerin im Anschluss freie Hand lassen, mit den Ergebnissen zu verfahren wie ihr beliebt oder sie zu deuten wie es passt, den Namen Dialog eigentlich nicht verdienen. Was die Ministerin genau mit dem Input der Bürger vorhat, kann man leider nicht feststellen, weil die geplante Phase 2 und Phase 3 des Dialogs nicht beschrieben werden. Das macht mich skeptisch.

Wir haben in diesem Herbst eine Saison von Netzpolitischen Tagungen und Barcamps vor uns. Die Grünen machen eine Tagung, die Konrad-Adenauer-Stiftung, und auch die SPD bzw. der Vorwärts Verlag. (Die FDP fehlt bislang, hat man das Interesse verloren?) Ich bin sehr gespannt, ob und wie das Thema Open Government dort weiter Kreise zieht.

Written by Maritta Strasser

8. November 2010 at 1:03 pm

Open Government? Hilfe!

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Das Internet und Gesellschaft Collaboratory hatte gestern zu einem hochinterssanten Workshop geladen. Thema war „offene Staatskunst – bessere Politik durch ‚Open Government‘?“ und ich durfte dabei sein. Es war seit langem die beste Veranstaltung dieser Art, die ich besucht habe, viel Intelligenz unter einem Dach, und das Phänomen der Schwätzer fehlte praktisch völlig. Es war einfach ein konstruktiver, sehr gut moderierter Workshop zu einem spannenden Thema, mit neugierigen und offenen Menschen aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen, übrigens ermöglicht von Google.

Einer der drei Schwerpunkte war Open Government, also eine neue, offene Staatskunst die sich der neuen Medien zur Schaffung von Transparenz und Teilhabe bedient. Dazu gab es Input aus der Politikwissenschaft von Prof. Philipp Müller*, dessen Kernthese darauf hinauslief, dass Staatskunst heute offen werden muss, um erfolgreich zu sein. Entweder die staatlichen Akteure bauen neue Instrumente der Information und Beteiligung auf der Basis der neuen technischen Möglichkeiten (und kannibalisieren damit ihre hergebrachten Methoden zur Schaffung von Legitimität und Akzeptanz) oder andere nehmen dem Staat diese Instrumente aus der Hand und schaffen Government 2.0 als „Untergrund-Aktion“. Beispiele dafür sind Wikileaks, Abgeordnetenwatch, u.a.

Die wenigen anwesenden Teilnehmer aus der Politik auf Bundesebene reagierten zurückhaltend auf die Idee des Open Government (um es mal vorsichtig auszudrücken). Die Angst vor Kontrollverlust und mehr noch die Angst der Fachebene, das Arbeitspensum nicht mehr zu bewältigen wenn noch mehr Input von den Regierten kommt, ist übermächtig. Und das obwohl die Gesprächspartner durchaus große Offenheit für solche neuen Ideen zeigten.

In dem Workshop habe ich mir alle Mühe gegeben, für mehr Open Government zu werben, allerdings mit wenig Erfolg. So habe ich vorgeschlagen, dass man die Mühe der Abstimmung zwischen widerstreitenden Interessen und die Mühe der Filterung und Bewertung ja ebenfalls zum Teil Crowdsourcen könnte. Konkret im Gesetzgebungsprozess könnte schon die Initiative, die heute ja meist von der Person eines einzelnen Ministers bzw. eine Ministerin ausgeht, durch ein Vorschlagswesen ergänzt werden. Statt den ersten Diskussionsentwurf (das ist ein Gesetzentwurf vor der Beschlussfassung im Kabinett) in einem intransparenten Verfahren nur an andere Ressorts und an ausgewählte Lobbyisten zu verschicken könnte er auch veröffentlicht werden, frei zur Stellungnahme durch jede und jeden. Und die Stellungnahmen und Änderungswünsche wären ebenfalls für alle offen. Ja man könnte sogar eine Texthistorie offenlegen, welche Änderungen an einem Vorschlag wurden gemacht, und auf wessen Input gehen diese zurück?

Nein, bis wir so weit sind, wird es wohl noch lange dauern. Bei diesen Vorschlägen leuchtete fast etwas Angst in manchen Augen auf. Auch die Aussicht darauf, einen Teil des lästigen Lobbydrucks loszuwerden, indem man die Interessengruppen ihren Streit untereinander austragen lässt bzw. ihnen die Mühe auferlegt, sich vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen, konnte da nicht überzeugen. Zu schwer wiegt noch die Furcht vor dem Kontrollverlust. Was eigentlich erstaunlich ist, denn wir erleben ja seit einiger Zeit, wie vor unseren Augen politische Macht mehr und mehr erodiert. Gibt es den Entscheidungsspielraum wirklich noch, den die Vertreter von Bundesministerien und Bundestag so vehement verteidigen?

Interessant ist, dass aus der Perspektive der Kommunen die Abwägung immer öfter anders auszugehen scheint. Sie sind die Vorreiter, mit Bürgerhaushalten zum Beispiel geben sie konkrete Entscheidungen in die Hand der Betroffenen vor Ort. Durch den lokalen Bezug allein sehen sie schon eine höhere Qualität der Beteiligung und eine engere Bindung an den Prozess und sein Ergebnis. Aber ich finde, das kann das letzte Wort nicht sein. Auch auf Bundes- und supranationaler Ebene muss Offenheit Einzug halten. Anders ist gutes Regieren  im 21. Jahrhundert nicht mehr möglich.

* Wir hatten bei dem Workshop vereinbart, dass über die Diskussion ohne Namensnennung berichtet werden darf, Philipp Müller war aber ausdrücklich mit der Nennung seines Namens einverstanden, deshalb ist er hier genannt. Eine Zusammenfassung des Workshops (Videos und Papers) soll aber demnächst bei politik-digital veröffentlicht werden.

Written by Maritta Strasser

25. September 2010 at 4:26 pm

Veröffentlicht in Demokratie, Netzpolitik

Idee: Web 2.0 auf Papier

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Hier bin ich über die Idee gestolpert, den Lokalteil von Regionalzeitungen zu einer „Bürgerplattform“ umzuarbeiten, also von den Vereinen, Initiativen, regionalen Unternehmen, etc. eingereichte Artikel und Veranstaltungshinweise unredigiert zu übernehmen und zu drucken. Eine Art Social Media auf Papier.

Hundertprozentig neu ist die Sache nicht, denn die Gratis-Zeitungen und Anzeigenblätter sind im Grunde nichts anderes, auch wenn sie nicht direkt via Redaktion, sondern über so genannte Materndienste befüllt werden. Materndienste sind unter Kommunikationsverantwortlichen immer noch ein Geheimtipp, dabei sind sie so praktisch und effizient, und obendrein unschlagbar günstig. Sie erreichen halt nur eine relativ spezielle Zielgruppe, böse ausgedrückt die Oma, die Anzeigenblätter liest. Wie das wohl mit den Bürgerportalen wäre? Spannende Frage…

Written by Maritta Strasser

17. September 2010 at 11:28 am

Die Web 2.0 Sinnfrage

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Das Mitmach-Web, oder wie es jetzt schicker heißt, Social Media, wird zwar allenthalben als Chance gerühmt, in der Realität dann aber doch weitgehend als Zumutung empfunden. Vor allem von den Berufen, die sich mit Kommunikation professionell beschäftigen. Dass Journalisten deren Konkurrenz fürchten ist ein stehender Topos vieler Blogger und trägt nicht wenig zu deren Selbstbild als Schrecken der etablierten Medien bei. Aber auch Pressesprecher und Marketing-Verantwortliche stöhnen. Nicht auch noch das!

So las ich gestern bei Xing den Diskussionsbeitrag des Pressesprechers eines Landkreises, der es ganz gut auf den Punkt bringt. Er fragt: „Hat es wirklich Sinn und konkreten Nutzen, PR über derartige Portale zu betreiben – oder ist das angebliche Vordringen des Social Webs in die PR-Kommunikation ein aus Eigennutz aufgebautes Szenario von Seminaranbietern in diesem Bereich?“

Die Lebensklugheit lehrt, dass überall dort, wo sich neue Trends auftun reihenweise Scharlatane unterwegs sind die Unausgegorenes als State of the Art zu teuer verkaufen. Es müsste schon sehr verwundern, wenn das bei Social Media Beratung nicht der Fall wäre. Aber bedeutet das, dass der gesamte Hype um Web 2.0 ein Popanz ist, dass es also einfach reicht, den Trend vorübergehen zu lassen und so weiterzuarbeiten wie bisher?

Bei Social Media ist es wie bei jedem anderen Kommunikationskanal auch: Es gilt sorgsam nach Zielgruppen zu differenzieren und die einzelnen Instrumente dementsprechend auszuwählen. Dann ist das auch kein Popanz.

Zielgruppe Journalisten: Wir haben inzwischen eine ganze Reihe von Beispielen, dass Berichterstattung aus den Blogs in die Massenmedien überschwappt und dort veritable Erregungswellen auslöst. Die Geschichte des Rücktritts des ehemaligen Bundespräsidenten Köhler ist ein hervorragendes Beispiel, vor allem weil der Ort der ursprünglichen Diskussion ein ganz unbekanntes Blog war. So genannte A-Blogger griffen das dann auf, und danach die Massenmedien.

Folgt daraus, dass Kommunikationsverantwortliche unbedingt selber bloggen sollten? Nicht unbedingt. Aber daraus folgt, dass sie Blogs monitoren müssen. Und dass zumindest fachlich / regional relevante Blogger auf ihren Presseverteiler gehören.

Was ist mit anderen Kanälen wie Facebook, Youtube und Twitter? Hier gilt mehr oder weniger, dass diese der direkten Kommunikation mit dem Kunden / Wähler / Mitglied … dienen, und eben eine Alternative zur Erreichung dieser Zielgruppen über die Gatekeeper aus dem professionellen Journalismus darstellen. Überlegen Sie, ob das nicht langfristig ein gutes zweites Standbein Ihrer Kommunikation wäre, und was Ihnen die Möglichkeit wert ist, Ihre Botschaft direkt und unverfälscht platzieren zu können. Im Fall von Krisenkommunikation spätestens, glaube ich, werden Sie die Instrumente wohl benötigen. Oder Teile davon.

Um einzuschätzen, welche Zielgruppen Sie auf diesem Weg der Direktkommunikation wie gut erreichen ist die ARD/ZDF Onlinestudie von großem Wert (das ist auch keine Studie von irgendwelchen Agenturen, die erkennbar nur nachweisen wollen „bucht mich!“).

http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/

Mein Fazit: Social Media wird irgendwann unumgänglich. Wahrscheinlich eher schneller als wir heute erwarten.

Was natürlich die Unlust, sich mit Social Media überhaupt zu beschäftigen, nicht verschwinden lässt, die gespeist wird aus einem Gefühl der Überforderung. Helfen könnte hier der Besuch eines Seminars, ein Workshop oder ein Coaching, möglichst ohne den Chef in der Nähe. Ein guter Trainer holt den Web 2.0-Muffel aus seiner Verzweiflung, eröffnet den Blick für die Chancen und Möglichkeiten und kann Spaß an der Arbeit mit den neuen Instrumenten vermitteln.

Also wäre mein Tipp: Wenn der Chef sagt, Sie sollten sich mal um dieses Multimedia-Dingens kümmern, tauchen Sie nicht ab. Nutzen Sie die Chance, ihm das Geld für einen Workshop aus dem Kreuz zu leiern. Das sollten Sie sich gönnen.

Written by Maritta Strasser

17. September 2010 at 10:24 am

Das Hornberger Schießen

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Der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag ist bereits am 1. Januar 2009 in Kraft getreten. Mit lautem Getöse haben Presseverlage und private Fernsehsender durchgesetzt, dass die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Inhalte, die Sie auf ihren Webseiten veröffentlicht haben, nun zu großen Teilen unzugänglich machen müssen. Der Fachterminus heißt depublizieren, und das bedeutet, dass die Filme, Rezepte, Transkripte von Interviews, etc. nicht gelöscht, sondern für Internetnutzer unzugänglich gemacht werden. Riesige Archive von mit Gebührengeldern erstellten Inhalten verschwinden aus dem Zugriff der Nutzer, weil eine bestimmte Lobby es so wollte.

Als die Debatte um den Rundfunkstaatsvertrag lief, hat sich kaum jemand dafür interessiert. Jetzt aber fällt den Gebührenzahlern auf, dass etwas, was sie als ihr Eigentum empfinden (denn bezahlt haben sie es), ihnen genommen wird. Und dass dieses geschehen ist, um der privaten Konkurrenz der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender einen Vorteil zu verschaffen, macht es für sie nicht besser. Und freut sich wenigstens die Lobby, die diesen Unsinn durchgesetzt hat? Nein, tut sie nicht. Den von den Privaten durchgesetzte „Dreistufentest“ nennt ein Vertreter von RTL bemerkenswert ehrlich ein „relativ sinnloses Verfahren„.

Genauso sinnlos ist das Depublizieren. Denn nun geschieht, was von Anfang an zu erwarten war: Die depublizierten Sachen werden durch ehrenamtliches Engagement von Internetnutzern wieder zugänglich gemacht. Angefangen wird mit tagesschau.de, aber das soll erst der Anfang sein. Gut möglich, dass am Ende ein Archiv des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entsteht, welches den alten Angeboten aus der Zeit vor dem 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag in nichts nachsteht. Mehr und Zugang zu den gesicherten Inhalten von tagesschau.de gibt es  bei www. depub.org.

Und wir Steuer- und Gebührenzahler freuen uns wieder Mal über einen klassischen Fall des Hornberger Schießens. Wie viel Schweiß und Geld, wie viele Stunden Arbeitszeit und wie viel vermeidbaren Ärger mag dieser Versuch gekostet haben, kostenfreie Inhalte als unliebsame Konkurrenz des Paid Content aus dem Internet zu drängen? Lieber Axel Springer Verlag, liebe Privatsender, merkt Euch eins: das wird Euch erst an dem Tag gelingen, an dem Wikipedia die Artikel ausgehen. Und für Viele ist es obendrein ein Grund mehr, von Euch bestimmt nichts zu kaufen.

Written by Maritta Strasser

14. September 2010 at 3:07 pm